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Weiße Särge
Weit draussen, weit entfernt vom Lärm und Schmutz der Großstadt, liegt zwischen den Weinbergen eine stattliche Villa aus der Gründerzeit mit einem parkähnlichen, gepflegten Garten. Wohl an die 20 Meter misst die Gartenfront und über die ganze Breite erstreckt sich der Speiseraum.
Vornehm gestaltet mit Kristallleuchtern, Stuckdecken, Kopien von griechischen Statuen und gemalten Marmorsäulen. Klassizistische Tische aus beschnitzten Hölzern waren festlich gedeckt: Geschirr, Gläser, Besteck, alles vom feinsten.
Bis auf einen Stuhl in der Mitte der Tafel war der Raum leer. Kein Stuhl, kein Mensch war zu sehen. Auf den Tischen war neben jedem Gedeck ein großer freier Platz, auf dem nur ein Namensschild stand. Nach und nach, wie in Zeitlupe, tauchten wie aus Dunkelheit und Nebel Särge auf,
die sich zielsicher auf ihren Namen zubewegten, der auch auf dem Sargdeckel stand. Es schien eine halbe Ewigkeit zu dauern, bis alle Särge ihren Platz gefunden hatten.
Wie nach einer Rangordnung erhoben sich lautlos die Sargdeckel und verschwanden unter dem Tisch. Die Toten erhoben sich und waren erkennbar. Jetzt waren auch für mich die Namensschilder lesbar. Es waren alles Verwandte, die ich nie lebend gesehen habe. Einige der Toten sind mir bekannt, mein Sohn, meine Kusine, meine Mutter. Ich hatte den Eindruck, sie würden mir zuzwinkern.
Mir schien, dass der einzige Stuhl im Raum für mich bestimmt war. Doch ich konnte ihn nicht brauchen, ich kam aus meinem Rollstuhl nicht heraus. So bewegte ich mich in Richtung des Stuhls. Als ich neben ihm stand und etwas sagen wollte, schien alles im Raum in Bewegung zu geraten. Unheimlich lautlos lief alles ab. Bevor die Toten wieder in ihren Särgen verschwanden, legte jeder einzelne ein kleines Päckchen auf den Tisch. Augenblicklich schwebten die Sargdeckel empor und die Särge waren verschlossen. Erst jetzt fiel mir auf, dass es ganz schlichte Särge waren, die jemand mit weißem Mattlack gestrichen hatte.
Als alle Särge geschlosen waren, erhoben sie sich wie auf ein von mir nicht erkanntes Zeichen und schwebten durch die geschlossen Fenster in den Park. Dort flogen sie noch eine Weile wie Schmetterlinge, bis sie, einer nach dem anderen, im Wald unsichtbar wurden.
Wie von Sinnen beobachtete ich das Geschehen staunend und sprachlos.
Was sollte dieser Auftritt. Ich war weder bestürzt noch erleichtert. Als ich nach den Päckchen auf dem Tisch greifen wollte, erwachte ich aus meinem Traum.
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